Wie eine gute Verknüpfung von alter und neuer Marketingwelt aussehen kann, zeigt die Deutsche Bahn derzeit mit ihrer „Boah, Bahn! Wir sitzen alle im selben Zug.“ Kampagne. Fast täglich gibt es neue der 1-3 minütigen Episoden, die in fiktionalen Geschichte Zugbegleiterin Tina und ihr Team vor allem beim Kampf mit typischen Problemen der Deutschen Bahn zeigen.
Das alles geschieht optimiert auf Social Media kurz, schnell, pointiert und im Hochformat - also scheinbar auf eine eher jüngere Zielgruppe ausgerichtet. Da aber inzwischen alle Altersgruppen Videos bei YouTube, Instagram und co. schauen, ist die strikte Alterstrennung des Zielpublikums in den letzten Jahren stark aufgeweicht. Daher sollte man die Kampagne schon als eine für annähernd das gesamte Publikum der Deutschen Bahn einordnen. Und das bestätigt sich auch in der Wahl der Hauptdarstellerin Anke Engelke, die manch jüngeren Zuschauer wahrscheinlich nicht unbedingt ein Begriff ist.
Dafür hat man aber mit ihr eine der wenigen möglichen Darstellerinnen in Deutschland gefunden, die (mal ganz abgesehen vom humoristischen Talent) genügend „Zug“ in der Öffentlichkeit hat, um die Berichterstattung über die Webserie durch Ihre Teilnahme ordentlich anzufeuern. Ob durch Einladungen in Talkshows, Interviews oder Artikel in allen wichtigen Leitmedien - hauptsächlich durch Anke Engelke war „Boah, Bahn!“ In den letzten Wochen überall präsent.
So gehören die Folgen mit ihr auch zu den Besten, da sie selbst aus einer eher lauen Storyidee noch Witz und Sympathie zaubern kann. Denn auf der Handlungsebene standen die Macher hinter der Serie - der prominente Stromberg-Regisseur Arne Feldhusen - und sein Team aus der bildundtonfabrik und von Elastique - vor einer schwierigen Aufgabe: wie die ganzen Probleme der Deutschen Bahn sympathisch kommunizieren?
Dieses Problem ist nicht lösbar und man merkt der ein oder anderen Folge an, dass bei der Bissigkeit des Humors im Sinne des Auftraggebers arg auf die Bremse getreten wurde. Die Bahn-Welt, die einem die Serien präsentiert, ist doch immer wieder zu heil, zu harmonisch, zu sauber, und bildet den Bahn-Alltag der Zielgruppe an diesen Stellen zu wenig ab. Die Süddeutsche Zeitung bemängelte bei der Serie in diesem Zusammenhang, dass inzwischen „die Missstände derart eklatant“ sind, dass man nicht mehr humorvoll darüber hinwegsehen kann.
Das kann man so sehen, man kann sich aber auch darüber freuen, dass die Bahn ihrem eigenen Zug-Personal einen so hohen Stellenwert einräumt, dass sie es mit einer eigenen, aufwendig produzierten Serie im besten Licht dastehen lässt. Und dabei bei allen Reisenden für Verständnis für eben dieses Personal wirbt. Denn für Missmanagement können der Zugbegleiter, der Bordbistrokoch oder der Schaffner nunmal nichts.
Und wir freuen uns, dass klassisches Erzählen in Formaten, die auch mal länger als 30 Sekunden gehen, mit richtigen Drehbüchern, Schauspielern und technisch hochwertig und sauber produziert, auch in Zeiten von Billigvideos auf TikTok nicht ausgedient hat.
Ganz im Gegenteil, bitte mehr davon!